FALSCH: In Deutschland wurden Kinderehen nicht legalisiert

Es wird auf Social-Media-Plattformen verbreitet, dass deutsche Gerichte die Legalisierung von Ehen mit Minderjährigen befürworten würden. Hintergrund ist ein Fall von 2016. In Deutschland sind Kinderehen in der Regel nicht legalisiert.

Worum geht es:

  • In den sozialen Medien verbreitet sich die Behauptung, Ehen zwischen oder mit Minderjährigen seien in Deutschland erlaubt worden.
  • Genannt wird immer wieder ein Fall aus 2016, bei dem das Oberlandesgericht Bamberg eine im Ausland geschlossene Ehe zwischen einer Minderjährigen und einem Volljährigen anerkannt hat – ein Einzelfall.
  • 2017 wurde das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen beschlossen und die Rechtslage damit verschärft.

In Deutschland ist das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung 18 Jahre. Seit dem Jahr 2017 ist diese Regelung in Kraft, als das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen eingeführt wurde. Es ist in Deutschland verboten, Ehen zwischen oder mit Minderjährigen zu führen. Seit einigen Wochen wird auf Online-Portalen und sozialen Medien berichtet, dass deutsche Gerichte das Frühehen angeblich legalisiert haben.

Eine Website, die für die Verbreitung von falschen Behauptungen im Internet bekannt ist, titelt „Oberlandesgericht Bamberg legalisiert Kinderehen nach Scharia-Recht unter Asylbewerbern“. Laut Newsguard, einer Organisation, die die Glaubwürdigkeit von Websites bewertet, verstößt sie „schwerwiegend gegen grundlegende journalistische Standards“. Der Artikel wird in vielen Telegram-Gruppen und auf Twitter geteilt. Der Artikel bezieht sich auf ein Urteil, das nicht unbedingt neu ist, sondern mehrere Jahre alt ist. Es ist unklar, warum der Fall nun erneut untersucht wird.

Schwurbel-Portale beziehen sich auf einen Fall, der 2016 vor dem Oberlandgericht Bamberg verhandelt wurde.

Der Fall in Bamberg: Eine im Ausland geschlossene Ehe:

Der Fall wird im Jahr 2016 vor dem Oberlandesgericht Bamberg (OLG) behandelt. Zum Zeitpunkt der Verhandlungen ist das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen noch nicht gültig. Es wird erst ein Jahr später, im Jahr 2017, in Kraft treten. Das Hauptthema ist ein junges Paar aus Syrien, das im Jahr 2015 über die Balkanroute nach Deutschland geflohen ist. Zum Zeitpunkt der Trauung in ihrem Heimatland ist das Mädchen 14 Jahre alt, während ihr Ehemann und Cousin bereits 21 Jahre alt sind. Es handelt sich daher um eine Frühehe, was bedeutet, dass mindestens eine der beiden Parteien minderjährig ist.

In erster Instanz ging es in der damaligen Verhandlung um Vormundschaft und Umgangsrecht

Anders als in zahlreichen Artikeln und sozialen Medien dargestellt, wird die Legalität dieser Ehe beim Prozess nicht explizit diskutiert. Vor Gericht stehen Vormundschaft und Umgangsrechte im Vordergrund. Als das 14-jährige Mädchen und ihr volljähriger Partner in Deutschland ankommen, werden sie vom örtlichen Stadtjugendamt in Betreuung genommen. Aufgrund der Tatsache, dass das Mädchen von ihren Eltern unbegleitet in die Bundesrepublik eingereist ist, wird das Jugendamt als gesetzlicher Vormund eingesetzt.

Der Ehemann plant, beim zuständigen Amtsgericht Aschaffenburg eine Überprüfung der Entscheidung zu beantragen. Er präsentiert die Heiratsurkunde aus Syrien als Beweis. Das Amtsgericht wertet das Ansuchen des Ehemanns als Antrag auf Regelung eines Umgangsrechts und lässt die beiden syrischen Staatsbürger die Wochenenden zusammen verbringen. Das Stadtjugendamt, das als Vormund der Minderjährigen fungiert, reicht erneut Beschwerde beim Oberlandesgericht Bamberg ein. Sie planen, ihr Recht auf Umgang weiter einzuschränken und die Treffen des Paares nur unter der Aufsicht von Dritten durchzuführen.

So fiel das Urteil aus: Die Eheschließung wird in Bamberg anerkannt

Das Oberlandesgericht Bamberg lehnt diese Beschwerde ab und bestätigt von Amts wegen die Entscheidung des Amtsgerichts. Die verheiratete Minderjährige hat aufgrund der Gültigkeit der Ehe in Deutschland das Recht, selbst zu entscheiden, wo sie sich befindet. Die Entscheidung über den Aufenthalt der Minderjährigen liegt nicht in der Hand des Vormunds. Laut dem Oberlandesgericht gibt es keine Hinweise darauf, dass die Heiratsurkunden, die der Ehemann vorgelegt hat, gefälscht sind. Des Weiteren wurde von der deutschen Botschaft bestätigt, dass die Ehe in Syrien registriert wurde. Selbst wenn der Eheeintrittsalter in ihrem Heimatland überschritten wird, ist die Ehe nicht ungültig, sondern nur aufhebbar. „Die Gesamtumstände ergeben daher auch aus Kindeswohlgesichtspunkten keine Notwendigkeit, die in Syrien geschlossene Ehe vorliegend als nichtig anzusehen“, heißt es im Beschluss vom 12.05.2016.

Im Jahr 2017 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen tritt in Kraft

Seit der Verhandlung des Falls im Jahr 2016 hat sich die Gesetzgebung bezüglich des Umgangs mit Frühehen geändert. Am 22. Juli 2017, etwas mehr als ein Jahr später, wird das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen in Kraft treten. Die Bestimmungen für Eheschließungen mit Minderjährigen werden durch die neuen Gesetze verschärft. Seit dieser Zeit gilt in Deutschland die 18-jährige Ehemündigkeit. In der Vergangenheit gab es gelegentlich Möglichkeiten, dass Minderjährige ab 16 Jahren heiraten können. Seit dem Jahr 2017 sind solche individuellen Lösungen nicht mehr gültig.

Fakt ist: Der Umgang mit Kinderehen war bis 2017 uneinheitlich von Bundesland zu Bundesland geregelt

Außerdem hat das Gesetz Änderungen bezüglich der Behandlung von im Ausland geschlossenen Ehen zwischen oder mit Minderjährigen vorgenommen. Zuvor gab es keine einheitliche Regelung für den Umgang mit Kinderehen. Die Entscheidung über die Ehe wurde nach dem aktuellen Recht im Heimatland des Paares getroffen. Im Gesetzentwurf von 2017 wurde festgelegt, dass ausländische Ehen aufgehoben werden können, wenn sie im Einzelfall gegen wesentliche Grundsätze des inländischen Rechts unvereinbar waren.

Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 2017 wurden die Bestimmungen einheitlich gestaltet. Seitdem wird je nach Alter der betroffenen Personen bei der Hochzeit variiert: Wenn eine Person beim Eintritt der Ehe unter 16 Jahre alt war, war die Ehe automatisch ungültig. Gemäß dem deutschen Recht (Art. 13 Abs. § Ziff. 1 EGBGB). Nach dem neuen Recht können Frühehen ausgeschlossen werden, wenn einer der Ehepartner bei der Eheschließung zwischen 16 und 18 Jahre alt war (Art. 13 Abs. 3 Ziff. 2 EGBGB i.V.m. § 1315 Abs. 1 Nr. 1b BGB).

Für Aufhebung von Frühehen ist Antrag nötig

Ein Antrag muss entweder von den betroffenen Eheleuten oder der zuständigen Verwaltungsbehörde gestellt werden, um die Ehe von im Ausland zwischen 16- und 18-jährigen Verheirateten aufzuheben. Jeder Bundesland wählt die zuständige Behörde selbst aus. Die Verantwortung für das Verfahren der Eheaufhebung in Bayern liegt bei der Regierung von Mittelfranken.

Es gibt jedoch auch Ausnahmefälle, in denen die Ehe bestehen bleiben kann. Wenn die Ehe aufgrund außergewöhnlicher Umstände für den minderjährigen Ehepartner eine solche Belastung darstellt, dass die Ehe aufrechterhalten werden muss, „Eine schwere und lebensbedrohliche Erkrankung oder eine krankheitsbedingte Suizidgefahr des minderjährigen Ehegatten“ sind Beispiele dafür. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass in einem Ernstfall die Freizügigkeitsrechte minderjährig verheirateter EU-Bürgerinnen und Bürger durch die Aufhebung der Ehe verletzt werden könnten, wie ein Vertreter des Bundesjustizministeriums erklärt.

Ist das neue Gesetz mit der Verfassung vereinbar?

Das Stadtjugendamt, das zuvor die Vormundschaft der minderjährigen Ehepartner übernommen hatte, legt nach dem Urteil von 2016 in Bamberg Rechtsbeschwerde ein. Es verlangt weiterhin ein eingeschränktes Recht des Paares, unter Aufsicht von Dritten umzugehen. Am 14.11.2018 wird das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof in erster Instanz ausgesetzt. Das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen, das seit 2017 in Kraft ist, ist der Grund dafür.

Das Verfahren zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird vom Bundesgerichtshof festgelegt: Ob eine Ehe im Ausland mit einer Minderjährigen unter 16 Jahren ohne individuelle Prüfung verfassungsrechtlich anerkannt werden kann? Laut dem Aussetzungsbeschluss des Bundesgerichtshofs verletzt die Vorschrift das Ehegrundrecht, den notwendigen Schutz des Kindeswohls, das Gleichheitsgebot und das allgemeine Rückwirkungsverbot.

Das Deutsches Kinderhilfswerk sagt: „Nicht anerkannte Ehen können Nachteile für Minderjährige bringen

Das Deutsche Kinderhilfswerk (DKHW) steht dem Gesetz von 2017 kritisch gegenüber. Linda Zaiane-Kuhlmann, Leiterin der Koordinierungsstelle Kinderrechte vom DKHW, sagt: „Der Bundesgerichtshof war der Auffassung, dieses Gesetz, wie es jetzt ist, nicht anwenden zu können, weil er es für verfassungswidrig hält. Dieser Auffassung folgen wir auch als Kinderrechtsorganisation.“

Zaiane-Kuhlmann äußert ihre Zustimmung zu den Vorschriften in Deutschland bezüglich Eheschließungen mit oder zwischen Minderjährigen. Jedoch konzentriert sie sich auf die Eheschließungen, die im Ausland stattfinden. Die automatische Ablehnung von Eheschließungen, bei denen Personen unter 16 Jahren beteiligt sind, schadet dem betroffenen Person und verstößt gegen den Schutz des Kindeswohls. Es ist wichtig, das Grundgesetz in Übereinstimmung mit der UN-Kinderrechtskonvention so auszulegen, dass es auch nach deutschem Recht in jedem Fall, in dem Kinder betroffen sind, untersucht werden muss, wie die Interessen der Minderjährigen in diesem konkreten Fall betroffen sind. Daher liege diese Prüfung über den deutschen Wertvorstellungen. Es ist nicht möglich, das Wohlbefinden eines Kindes ohne individuelle Gespräche mit ihm zu bewerten.

Zaiane-Kuhlmann erklärt, dass die Minderjährigen aus der Ehe keinen Anspruch geltend machen können, wenn man so tut, als ob sie nie existiert hätte. Obwohl es eine gute Absicht sei, die Minderjährigen zu schützen. Es besteht die Möglichkeit, dass die betroffenen Personen ohne jegliche Ansprüche dastehen. Laut der Fachfrau ist eine aufgehobene Ehe nicht gleichbedeutend mit Anspruchen auf Unterhalt, Erbe oder Rente. Es ist nicht möglich, das Wohlbefinden eines Kindes ohne individuelle Gespräche mit ihm zu bewerten.

Braucht es eine generelle Einzelfallprüfung?

Am 2017 eingeführtes Gesetz wird von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes kritisiert. Myria Böhmecke von Terre des Femmes begrüßt im Gespräch mit AlexxTV die generelle Aufhebung von geschlossenen Ehen mit unter 16-Jährigen. Man muss immer davon ausgehen, dass die Betroffenen unter einem gewissen Zwang stehen, wenn Kinder in diesem Alter vor Gericht aussagen müssen, ob sie die Ehe freiwillig eingegangen oder beibehalten wollten. Es besteht die Möglichkeit, dass Falschaussagen und das Beibehalten einer Ehe stattfinden, die ursprünglich unter Druck entstanden ist. Böhmecke betont, dass es eine Bedrohung für das Wohl des Kindes gibt, die zunächst untersucht werden muss.

Bisher gab es elf annullierte Ehen zwischen Minderjährigen in Deutschland

Eine Evaluierung des Bundesjustizministeriums von 2020 zeigt, wie wirksam das Gesetz tatsächlich ist. Laut einem Sprecher des Ministeriums gibt es keine aktuellen Zahlen.

Laut den Zahlen von 2020 wurden seit dem Inkrafttreten des Gesetzes im Juli 2017 104 Verfahren zur Aufhebung einer Ehe aufgrund Minderjährigkeit eingeleitet. Elf dieser Fälle führten dazu, dass die Ehe tatsächlich aufgehoben wurde. Das Justizministerium gibt an, dass die anderen Fälle nicht aufgehoben werden. Die Gründe dafür sind ein Härtefall, die Rückkehr ins Heimatland oder die mittlerweile eingetretene Volljährigkeit des Minderjährigen.

Zuständigkeiten bundesweit nicht einheitlich

Myria Böhmecke von Terre des Femmes sieht in den bundesweit uneinheitlich geregelten Zuständigkeiten den Grund dafür, dass nicht mehr Frühehen annulliert wurden Zitat: „Wir gehen davon aus, dass in vielen Bundesländern gar nicht bekannt ist, welche Behörde zuständig ist, weil es in jedem Bundesland letztendlich andere Behörden sind.“

Unklare Zuständigkeiten hätten sich auch in von Terre des Femmes durchgeführten Umfragen im Rahmen der Evaluierung des Gesetzes gezeigt, so Böhmecke. Vor allem in Ländern, in denen es keine zentralen Stellen gebe, seien Zuständigkeiten oft unklar.

Wie bereits erwähnt, werden Eheschließungen im Ausland, bei denen eine Person jünger als 16 Jahre ist, in Deutschland automatisch ungültig. Es ist ungewiss, wie häufig dies der Fall ist, da es keine genauen Zahlen gibt. Terra des Femmes erklärt dazu: „Was die Unwirksamkeit von Ehen, die vor Vollendung des 16. Lebensjahres geschlossen wurden, betrifft, gibt es aufgrund fehlender Statistiken erhebliche Erkenntnislücken.“

Unser Fazit:

Im Gegensatz zu den Gerüchten, die im Internet verbreitet werden, wurden Kinderehen in Deutschland nicht allgemein erlaubt. Seit dem Jahr 2017 hat sich die Gesetzgebung sogar verschärft. Es wird vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt, ob das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen verfassungsrechtlich akzeptabel ist. Erst nach diesem Zeitpunkt ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs bezüglich der Ehe des syrischen Paares zu erwarten.

Vor der Einführung des Gesetzes wurde der Fall, der in den Aussagen erwähnt wird, vor dem Oberlandesgericht Bamberg verhandelt. Obwohl die Eheschließung zwischen einer 14-jährigen Person und einem 18-jährigen Mann als legal anerkannt wurde. Jedoch handelt es sich um eine individuelle Überprüfung, die nicht auf andere im Ausland geschlossene Frühehen übertragbar ist.

Hier das das Gesetz zum Nachlesen:

bgbl

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